Jüdisches Berlin: Scheunenviertel & Synagoge

 In Berlin entdecken, Echt Berlin

synagoge

Ob Museum, Synagoge oder hippes Szene-Café – es gibt es noch, das jüdische Leben in Berlin, den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte zum Trotz. Und nach wie vor ist es eine ebenso spannende wie treibende Kraft in der Entwicklung der Bundeshauptstadt. Dabei ist die Geschichte Berlins eng und untrennbar mit den jüdischen Gemeinden hier verbunden. Wir vom Industriepalast Hostel haben uns auf Spurensuche begeben und erkunden gemeinsam mit euch in unserer neuen Serie Jüdisches Berlin die vielen Facetten jüdischer Kultur in der Metropole. Nachdem ihr im Jüdischen Museum bereits der Geschichte der Berliner Juden begegnet seid und mit dem Holocaust-Mahnmal einen einzigartigen Erinnerungsort kennenlernen durftet, widmen wir uns heute dem jüdischsten aller Berliner Viertel – dem Scheunenviertel mit der Neuen Synagoge.

Reiche Tradition

Dass jüdisches Leben hier Tradition hat, ist weithin zu erkennen: In feinstem Gold funkelt die imposante Kuppel der Neuen Synagoge über den Dächern der historischen Mitte Berlins, zweifelsohne eines der schönsten Bauwerke in der Hauptstadt. Nachdem die alte Synagoge aus dem 18. Jahrhundert für die stark gewachsene jüdische Gemeinde zu klein geworden war, errichtete man in den 1860er Jahren das imposante Gotteshaus nach Plänen des angesehenen Architekten Eduard Knoblauch unter Vorbildnahme maurischer Paläste. Zeitgenossen wie der Schriftsteller Theodor Fontane bejubelten den Tempel, der “an Pracht und Großartigkeit der Verhältnisse alles weit in den Schatten stellt, was die christlichen Kirchen unserer Hauptstadt aufzuweisen haben”. Doch unbeschadet überstand der Prachtbau nur knapp 70 Jahre: Während der Novemberprogrome vom 9. und 10. November 1938 legten Nazi-Schergen auch im inneren der Neuen Synagoge ein Feuer, das glücklicherweise gelöscht werden konnte, bevor schlimmerer Schaden entstand. Den Bombenangriffen auf Berlin seit 1943 aber fielen dann doch große Teile des Gebäudekomplexes zum Opfer, lediglich der heute noch erhaltene Kuppelbau an der Straßenfront blieb als Ruine stehen. Erst zwischen 1988 und 1995 wurde dieser Teil wieder aufgebaut um sowohl an die einstige Pracht, als auch die Zerstörung durch Nationalsozialismus und Krieg zu erinnern. Als Centrum Judaicum wird die Neue Synagoge heute nicht mehr für Gottesdienste genutzt, sondern beinhaltet neben einem kleinen Gebetsraum vor allem eine ständige Ausstellung über jüdisches Leben in Berlin sowie spannende Sonderausstellungen. Besuchen könnt ihr die Neue Synagoge Sonntag bis Freitag ab 10 Uhr, der Eintritt fürs Museum beträgt 5€ (ermäßigt: 4€). Die Kuppel (3,-/2,50€) ist nur im Sommer zugänglich.

Spannende Nachbarschaft

Dass die Neue Synagoge genau hier, in der Oranienburger Straße, zwischen Hackeschem Markt und Friedrichstraße steht, ist kein Zufall. Denn dieser Teil von Berlin-Mitte, das sogenannte Scheunenviertel war über Jahrhunderte hinweg das Zentrum jüdischen Lebens in der Hauptstadt. Was heute im absoluten Zentrum der Stadt liegt war bis Ende des 18. Jahrhunderts noch der Stadtmauer vorgelagert, und Juden, die noch keinen Grundbesitz im inneren der Stadt vorweisen konnten, wurden seinerzeit gezwungen, sich in diesem von Scheunen und kleinen Gässchen geprägten Viertel anzusiedeln. So entstanden nicht nur mehrere kleine Synagogen und jüdische Friedhöfe, sondern auch ein bunter Stadtteil voll quirligen Lebens und einer ganz eigenen urbanen Kultur. Erst als Teile des historischen Scheunenviertels im Zuge der Industrialisierung von Überbevölkerung und Verlelendung betroffen waren, begann man ab Anfang des 20. Jahrhunderts, die alten Gebäude abzureißen und die schmalen Gässchen durch breite Straßen zu ersetzen. Ein dunkles Kapitel stellten die Scheunenviertelprogrome nach der Wirtschaftskrise von 1923 dar, als ein antisemitischer Mob durch die Gassen zog und wahllos alles angriff, was “jüdisch” schien. Die antisemitischen Ressentiments erreichten ihren Höhepunkt in der Shoah, der versuchten systematischen Vernichtung aller Juden durch die Nationalsozialisten ab 1933 – die überwältigende Mehrheit der Berliner Jüdinnen und Juden wurden Opfer dieses gewaltigen Verbrechens gegen die Menschlichkeit.

Nicht verschwunden

Doch die Spuren der reichen jüdischen Geschichte dieses spannenden Stadtteils sind nicht verschwunden – im Gegenteil. Die Hackeschen Höfe mit den wunderschönen Jugendstilfassaden waren Anfang des 20. Jahrhunderts Zentrum des jüdischen Lebens und der künstlerischen Avantgard gleichermaßen, heute locken kleine Boutiquen und Szeneläden, Kinos und Cafés in die wohl prestigeträchtigste Immobilie Berlins. Das Haus Schwarzenberg direkt nebenan hat nicht nur wunderbare Street-Art und alternative Kulturräume zu bieten, sondern auch das sehenswerte Anne Frank Museum. Spuren jüdischen Lebens finden sich auch an vielen Häusern in der Auguststraße und rundherum, etwa in Form des Ahawa, des ehemaligen jüdischen Krankenhauses, oder der Knabenschule der jüdischen Gemeinde Berlins in der Großen Hamburger Straße. Besuchen solltet ihr auch die Blindenwerkstatt Otto Weidts, wo während des Holocausts zahlreiche meist sehbehinderte Jüdinnen und Juden Schutz fanden. Vor allem aber, und das ist das wichtigste, ist das jüdische Leben hier so lebendig wie nirgends sonst in Berlin. Cafés und Restaurants, Bars und Theater machen diesen Stadtteil zum schicksten Ausgehbezirk der Hauptstadt. Nächste Woche erfahrt ihr daher mehr zum Thema Koscher Feiern & Genießen in Berlin.

Bis dahin shalom und lehitraot,

euer Simon

Blogger @IndustriepalastHostel

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