Tänzer auf der Spree: Molecule Man
Wer die berühmte Oberbaumbrücke in Friedrichshain überquert und über die Wasserfläche nach Osten blickt, den erwartet ein ungewöhnlicher Anblick: Auf dem Fluss scheinen drei gigantische Männer zu schweben, groß wie ein Hochhaus und an ihren ausgestreckten Armen in einer Art Tanz verbunden. Die Rede ist von Molecule Man, einer riesigen Skulptur des amerikanischen Bildhauers Jonathan Borofsky. Das Monumentalkunstwerk gehört fest zur Skyline Ostberlins und wird von Millionen Besucher*innen jährlich fotografiert und bewundert. Was aber hat es mit den Aluminium-Riesen auf sich?
Geschaffen wurden die drei Giganten im Jahr 1999. Der aus Boston stammende Künstler Jonathan Borofsky hatte bereits Ende der 1970er Jahre damit begonnen, monumentale Skulpturen zu entwerfen, die wie ein Schwamm von unzähligen Löchern durchzogen sind. “Ich war fasziniert von dieser Molekül-Idee”, schrieb der Bildhauer selbst über seine Arbeit, “aufgrund des simplen Umstandes, dass obwohl wir fest und solide erscheinen, wir letztlich doch aus einer Molekülstruktur bestehen, die in sich vor allem aus Wasser und Luft gemacht ist.” Der Ort, an dem seine Skulptur aufgestellt wurde, ist dabei nicht zufällig gewählt: Drei Ortsteile treffen hier aufeinander: Friedrichshain, Treptow und Kreuzberg. Während erstere bis zum Mauerfall Teil der DDR waren, lag Kreuzberg in Westdeutschland. Die drei Metallgestalten berühren sich also exakt auf der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Für Borofsky liegt darin eine besondere Symbolkraft, da die offene “Molekülstruktur” für ihn “nicht nur auf die Leichtigkeit im inneren unserer Körper Bezug nimmt,” sondern das Aufeinandertreffen der Figuren im Zentrum “das Zusammenkommen der Moleküle aller Menschen repräsentiert, das unsere Existenz erst erschafft.”
Aufgestellt wurden die 30 Meter hohen Männer im Mai 1999, mitten in der Spree zwischen Oberbaumbrücke und Elsenbrücke. Rund um die Jahrtausendwende wurde in Ostberlin viel über das umstrittene Projekt “Media Spree” diskutiert, einem Entwicklungsplan für die Bebauung der Ostberliner Spreeufer mit Bürogebäuden aufstrebender Technik- und Medienkonzerne. Weil der Molecule Man in den Augen vieler Berliner*innen sinnbildlich für dieses gentrifizierungsfördernde Bauvorhaben stand, konnten sich viele Einheimische Anfangs nur schwer mit der Riesenskulptur anfreunden. Der hohe Wiedererkennungswert der Skulptur hat das Kunstwerk aber zu einer bekannten Attraktion und einem Symbol für Ostberlin werden lassen, und mittlerweile stört sich kaum noch jemand daran.
Dennoch geisterte der Molecule Man im Jahr 2016 noch einmal für einige Wochen prominent durch die deutschen Medien. Vielen Berliner*innen war ein silberfarbenes BMX-Fahrrad aufgefallen, dass eines Tages ohne ersichtlichen Grund plötzlich in großer Höhe an der Skulptur mitten im Fluss hing. Die Zeitungen griffen das Phänomen begeistert auf, und tagelang wurde die Frage diskutiert: Wie ist das Bike da hingekommen? Die Auflösung kam eine Woche später in Form eines YouTube-Videos: Es zeigt den Berliner Trash-Künstler PARADOX dabei, wie er durch Friedrichshain und Kreuzberg radelt, bevor er mit dem Fahrrad auf dem Dach einer über die Oberbaumbrücke fahrenden U-Bahn balanciert. Später wird das BMX silber angesprüht und in einer waghalsigen Kletteraktion vom Schlauchboot aus am Molecule Man befestigt. Das verrückte Video mit der – Achtung: natürlich illegalen! – Kunstaktion könnt ihr euch hier anschauen:
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